Der deutsche Occidentalist

2. Jahrgang № 1 (13). 15. Januar 1934.

Mitteilungsblatt des Deutschen Occidental-Sprachbundes, Günthersleben.


Der Weg der Weltsprache

Mancher läßt sich von der Erlernung der bewußt geschaffenen Weltsprache nur dadurch abhalten, daß er glaubt, ihre Form sei bis zur amtlichen Einführung noch manchem Wandel unterworfen. Diese Vorsicht ist unbegründet, denn die Weltsprache hat sich in den letzten 50 Jahren zu ziemlicher Vollkommenheit entwickelt. Sprachpsychologie und vergleichende Sprachwissenschaft haben dazu geholfen. Jeder Eingeweihte weiß, daß nur das System sich durchsetzen wird, das natürlich genug und doch auch autonom ist. Eine solche natürliche Plansprache kommt aber zugleich den ewigen Zweiflern entgegen, die das Erlernen einiger nationaler Weltsprachen für wertvoller halten. Die Plansprache ist das gehaltsreichste und kürzeste Vorstudium zu allen modernen Fremdsprachen. Denkbildender Wert kommt diesen ja gar nicht zu, wenn man an die vielen Unregelmäßigkeiten und an die rein zufällige Verschiedenheit des grammatischen Systems (Satzkonstruktion!) denkt. Jedes Eindringen in fremde Sprache bringt uns nur die deutsche Wesensart beim Vergleich deutlich zum Bewußtsein. Freilich hat die Wissenschaft vielfache Gemeinsamkeiten der europäischen Hauptsprachen aufgewiesen, die ja alle mit dem Latein in Verbindung stehen. Auch unser deutsches Sprachleben erhielt von dorther Zuflüsse.

Harmonische Form dieser Gemeinsamkeiten ist Occidental. Vielsprachler lernen sie ebenso rasch und sicher wie Einsprachler, weil sie bei aller Natürlichkeit (der Wortstämme, Schreibweise, Wortbildung, Stilgebung) einfach, klar und regelmäßig ist, kurzum eigenes Gesicht hat. Nie muß man im Occid. ein Wort lernen, das mit einer international oder sachlich falschen Vor- oder Nachsilbe gebildet ist. Dieses Durchschauen der internationalen Wortbilder hat auch die Erlernung der romanischen Nationalsprachen und des Latein erleichtert mittels der Gesetze, die der Schöpfer des Occidental als Werkzeug für den Aufbau der Weltsprache erkannte. Auch im neuen Deutschland wird die deutsche Fremdwörtersprache nicht ganz verschwinden; sie haftet ja auch der wissenschaftlichen Literatur der Nachkriegszeit noch an. Hier nun wird Occidental der wahren Volksbildung dienen können, indem es diese übernationalen, europäischen Wörter erklärt.

Die Formenlehre der Weltsprache weicht stärker von den nationalsprachlichen Vorbildern ab und beschränkt sich auf die nötigsten Ausdrucksmittel einer internationalen Grammatik, ohne durchaus logisch sein zu wollen. Unsere moderne Zeit hat ja andere Möglichkeiten, die durchs Studium des klassischen Latein angestrebte Denkschulung zu ersetzen, z. B. durch Technik, Geopolitik, Rassenkunde, Urzeitforschung, Religionsforschung usw.

So sollte die Weltsprache in der Übergangszeit für höhere Schulen zur zweiten Fremdsprache statt des Französischen, für Volksschulen zur ersten Fremdsprache werden. Die Rolle des Griechischen, d. h. das System seiner in der wissenschaftlichen Nomenklatur (Anatomie, Arzneikunde, Chemie) verwendeten Wortstämme und Ableitsilben kann der Unterricht in Occidental mühelos als Anhangskapitel übernehmen. Schon heute aber ist Occidental das Volkslatein und, wenn man will, zugleich das leicht sprechbar und wohlklingend hörbar gemachte Ideal-Englisch.

Walter Karch, Leipzig.


Als Manuskript gedruckt: Herausgeber: Deutscher Occidental-Sprachbund, Bundesführer Joh. Quensel, Günthersleben über Gotha.