Der deutsche Occidentalist
Mitteilungsblatt des Deutschen Occidental-Sprachbundes, Günthersleben über Gotha in Th.
3. Jahrgang — Am 15. Mai 1935 — № 9 (33)
Die grammatische Struktur des Occidental
Von Walter Karch.
Satzbau und Stil der Weltsprache sind rein statistisch vielleicht stark romanisch bedingt, da auch Englisch sich in seiner Phraseologie vielfach dem Romanischen angeglichen hat. Doch sind von jeher in der Plansprache viele deutsche Satzkonstruktionen aufgetreten und geduldet worden. Die Gleichberechtigung des Deutschen ist durch dessen Bedeutung als Wissenschafts- und Literatursprache auch vollauf gerechtfertigt. Allzuviel Regeln lassen sich hierbei nicht geben, z.B. hinsichtlich des Gebrauchs der richtigen Präposition (ad, pri, fro, ye, in), Adverbien, Pronomen (ob qual oder quel, tal oder tel), über reflexive Verben (astonar oder astonar se), doppelte Verneinung (yo ne ha videt necos), des Dativs (próxim al scop oder li scop), des Artikels, Plurals, Infinitivs usw. Solche nationalen Eigentümlichkeiten machen Occidental durchaus nicht unverständlich, würden das Erlernen durch Westeuropäer sogar erschweren. Wenn Deutschland sich heutzutage sogar von lateinischer Grammatik freimacht und eine „arteigene Sprachlehre“ anstrebt, so sehe ich gerade in der oben aufgezeigten Möglichkeit gewisser syntaktischer Freiheiten im Occidental den Weg, muttersprachliche Art auch in der Plansprache zu pflegen. Man soll nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Soll man aus solchen engen nationalen Gründen eine „Mischsprache“ ablehnen? In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass sich jetzt im Occidental auch die Inversion beim Fragesatz einbürgert (vgl. das Lehrbuch von Berger): Have vu un automobil? = Esque vu have un automobil? Eine reichhaltige und innerhalb gewisser Grenzen doch unverbindliche Flexionsmöglichkeit ist immer besser als gar keine (siehe Latino!).
Erwiderung
In einer Zuschrift macht Herr Josef Weisbart, der Schöpfer des Mundi-Latin auf einige angebliche Unstimmigkeiten in meinem Aufsatz aufmerksam. Das macht eine rein sachliche Erwiderung nötig, denn ich weiss, dass Herr Weisbart eine positiv-günstige Einstellung zu Occidental hat. Ausserdem will ich gern gestehen, dass mir persönlich Mundi-Latin von allen Latino-Systemen im Sinne Peanos einzig und allein zusagt.
Dass Spanisch viel mit Occidental gemeinsam hat, habe ich nicht behauptet, denn Spanisch ist zu synthetisch.
Wenn ich das passivische Mittelwort des Espo-Ido (mi estas amata, mi estas amita, mi estos amata) nicht erwähnte, so geschah das deshalb, weil bei diesem verwirrenden, völlig willkürlichen Vokalwechsel sowieso das t unwesentlich wird.
Weiterhin berichtigt Herr Weisbart, dass die Vorpartikel i des Latino sine flexione von manchen Benutzern auch für die Bildung der Zukunftsform verwendet wird. Das würde also schlagend beweisen, dass sie für die Vergangenheitsform untauglich ist, denn i stammt von lat. ire, entspricht also unserem va (= geht): ego i ama = yo va amar.
Ob lu natürlich ist oder nicht, so dient es doch ebenso wie das Suffix -ant, unser -zig (triant = 30, trente, thirty) einer in germanischen Sprachen üblichen Klarheit und Kürze. Der Aufsatz behandelte ja nicht nur formengleiche Struktur! Vielleicht könnte man lu einsparen und durch Analytik geben: li bon cos, entsprechend omnicos bon (= alles Gute).
Dass quem aus dem Sanskrit stammt, weiss ich nicht. [quem ist im Lat. Akk.-Form zu qui (mask. Form des Relativums)]. Es ist ja eine portugiesische Form, als vielleicht Schöpfung der Westgoten oder Vandalen. Hierbei scheint zuzutreffen, was Günther in der „Rassenkunde“ sagt: „Als die germanischen Sprachen in Spanien, Italien und Frankreich schwanden (Westgotisch, Langobardisch, Burgundisch, Fränkisch), strömte nordische Schöpferkraft in die aus dem Vulgärlatein entfalteten romanischen Sprachen, die bis dahin noch ohne literarische Bedeutung geblieben waren.
Fortsetzung der Erwiderung in № 11 (35)!