Der deutsche Occidentalist

2. Jahrgang № 3 (15). 15. Mai 1934.

Mitteilungsblatt des Deutschen Occidental-Sprachbundes, Günthersleben Th.


Die internationale innere Sprachform

Von W. Karch, Leipzig.

Die enge Verwandtschaft des Occidental mit den europäischen Weltsprachen zeigt sich nicht nur im Wort- und Formschatz, sondern auch in der ganzen inneren Struktur. Wie keine der bisherigen Plansprachen bewahrt Occidental die gemeinsame Struktur der lebenden arischen Sprachen, und an dieser Gemeinsamkeit hat auch das Deutsche Anteil.

Oftmals liegen auch dort, wo rein äußerlich keine lexikalische Uebereinstimmung besteht, doch bestimmte gleiche Gedankengänge zugrunde. Dann erscheint etwa ein deutscher Ausdruck als die wörtliche Uebersetzung eines fremdsprachlichen und umgekehrt (Antipode = Gegenfüßler, Bankerott = Bankbruch, lat.: locus communis, engl.: common place = Gemeinplatz, engl.: hotspur = Heißsporn). Das Denken der Völker ist trotz Abweichung bezüglich lautlicher Erscheinungsform der Wörter doch tatsächlich wesentlich übereinstimmend. Man spricht dann von gleicher innerer Sprachform.

Da die europäischen Hauptsprachen (A, F, G, H, I) bei Veröffentlichungen und Tagungen vielfach nebeneinander verwendet werden, gleichen sie sich innerlich immer mehr an. Vermittler solcher begrifflichen Angleichung sind die Vielsprachler.

Als häufigster Typ solcher „Begriffsformen“ tritt uns die Wortverbindung entgegen, d. h. die einwortige Verbindung von Wortstämmen bezw. die zweigliedrige Bindestrich-Form. (Neujahr, kopfüber, himmelblau, wohlwollend.) Vorbild hierfür waren die germanischen Sprachen. Im Romanischen ist sie seltener, aber im Occ. hat sie mehr und mehr Heimatrecht erlangt, sodaß autonome Parallel-Bildungen zulässig sind. Man vergleiche etwa: submarin = unterseeisch, pos-midí (frz. après-midi), surdi-mut = taubstumm (frz. sourd-muet), mort-nascet = totgeboren (frz. mort-né), vermemolat = wurmstichig (frz. vermoulu), vive-durant = lebenslänglich, rubicaude = Rotschwänzchen (frz. rouge-queue), nemoblivia = Vergißmeinnicht (frz. pensez-à-moi; vgl. Engl.), fanullone = Nichtstuer, partiprender, pos-deman = übermorgen, preguerral = vor dem Kriege bestehend, subcutan = unter der Haut befindlich, dextriman = rechtshändig, dusemanal = zweiwöchentlich, subterran, bon-esser = Wohlstand (frz. bien-être), bonvolent = wohlwollend (frz. bénévole), bonfact = Wohltat (frz. bienfait), porte-franc = postfrei, bass-terren = Tiefland usw.

Die Stellung der Teilglieder entspricht dem Deutschen: manu-besa = Handkuß (frz. baise-main), contrabass (frz. basse-contre). Aus dem Romanischen hingegen stammt die brauchbare imperativische Begriffsform: para-luce = Lampenschirm, para-pluvia = Regenschirm, calidá-pede = Fußwärmer, frz. chauffe-pied. Es entstehen hierdurch Begriffe von feststehender, soz. patentierter Bedeutung, die immerhin noch durchsichtig genug sind, also durchaus nicht rätselhaft. Die Bildung neuer Worte und Begriffe wird somit erleichtert und außerdem werden innere Merkhilfen für das Erlernen des Occ. geschaffen, denn es ist durchaus denkbar, daß von der Weltsprache her dieses Bilden von Begriffsformen in die Nationalsprachen vordringt.

Im Occidental ist solche Wortschöpfung dort gut angebracht, wo kein gemeinsamer Ausdruck für einen Begriff zu finden ist (aer-nave = Luftschiff = Zeppelin; ferrovia (it.); paper-cornette (frz.) = Tüte; (vgl. Tute = Blashorn); oder wo eine internationale Vokabel hinsichtlich ihrer Bedeutung in einer der Hauptsprachen wesentlich abweicht. Im Engl. tritt dieser Fall oft ein (vgl. may-flower = Weißdorn): statt maiflor also besser mai-clochette = Maiglöckchen. Übrigens ist unter Umständen ein präpositionaler Ausdruck vorzuziehen (plan de viagie, erra de calcul, colpe de ped, successor al tron).

Auch die von deutscher Anschaulichmachung, Gemütstiefe und Heiterkeit zeugende Begriffsübertragung wird im Occid. eine Rolle spielen, besonders in der technischen Fachsprache. So reden wir bei Maschinen und Apparaten von Zunge, Hals, Fuß, Bauch, Bart, Strom, Schirm, Hahn, Zähnen usw. Gerade die Alltagssprache wird oft auf innere Begriffsformen zukommen müssen, und hier gebührt unserer Muttersprache ein großer Anteil an brauchbaren Vorbildern.